Nach den ersten Wüstenerlebnissen im Westen der Takla Makan folgten in Turpan weitere. Die Stadt liegt in einer sehr trockenen Gegend unter dem Meeresspiegel. Man erhält fast nur Informationen, dass es im Sommer an die 50°C heiss wird. Üeber den Winter wird weniger geschrieben.
Nach unserer Ankunft in Turpan räumten Tim und ich erst einmal unsere Sachen ins Hotelzimmer und wir ruhten uns etwas aus. Irgenwann überkam uns dann doch der Hunger und wir machten uns auf die Suche nach einem uighurischen Nachtmarkt. Aus dem Zentrum Turpan’s machten die Chinesen eine moderne Stadt, so dass von der uighurischen Tradition nichts mehr zu sehen ist. So mussten wir auf jeden Fall eine gewisse Strecke zurücklegen, bevor wir zu Orten kamen, welche so etwas wie einen Nachtmarkt bieten würden.
Leider war an allen Stellen Fehlanzeige. Wir fanden schlussendlich ein grosses Lokal, in welchem viele Leute an den Tischen sassen und Musik ertönte. Wir entschieden uns, einen Blick in das Lokal zu werfen. Direkt an der Türe wurden wir dann abgefangen. Die Jungs erklärten uns, dass es sich bei dem Anlass um eine Hochzeit handelte und wir natürlich gerne mitessen durften. Gerne nahmen wir die Einladung an und setzten uns an den uns zugewiesenen Tisch.
Sogleich gesellten sich einige Einheimische zu uns und quetschten uns zu Herkunft, Reise etc. aus. Speziell Ablim und Muhammad waren daran interessiert, dass wir uns während unseres Aufenthaltes in Turpan nochmals sehen würden. Dankbar nahmen wir ihre Visitenkarten an und ihre Telefonnummern auf.
Nach wenigen Minuten wurde dann auch schon das Essen aufgetischt. Die Schalen auf dem Tisch wurden in drei Schichten gestapelt, damit alles auf dem Zehnertisch Platz hatte. Von verschiedenen Fleischsorten und Fisch über Reis und Gebäcke bis hin zu verschiedenen Salaten war alles zu finden, was man sich vorstellen kann. Neben dem traditionellen Tee machten an unserem Tisch noch zwei Schnapsflaschen und eine Flasche Süssgetränk die Runde. Die zwei Schnapsgläser wurden immer jeweils um zwei Personen weitergereicht, damit diese dann anstossen konnten. Dem ein oder anderen hatte der Schnaps mit der Zeit heftig zugesetzt.
Noch während dem Essen wurden auf der kleinen Bühne und Tanzfläche Tänze aufgeführt. Später wurde dann zunächst traditionelle, später moderne Musik gespielt zu welcher emsig getanzt wurde. Bemerkenswert war hierbei die Begeisterung der Jungs zum Tanzen. Sind die Jungs in meinem Kulturkreis eher schüchtern und stehen zuletzt auf der Tanzfläche waren sie bei dieser Hochzeit stets die ersten und emsigsten Tänzer.
Gegen 23 Uhr war dann plötzlich Feierabend und wir machten uns auf den Weg zurück zum Hotel. Dort angekommen mussten wir erst einmal all die Telefonnummer aussortieren und wiederherstellen, wer wer war.
Da Tim immer noch mit seiner Erkältung kämpfte, machte ich mich am Sonntag erst einmal alleine auf den Weg. Von der Rezeption rief ich Albim an, den wir am Vorabend auf der Hochzeit kennengelernt hatten, da er erzählt hatte, dass ein Freund von ihm einen Computer-Shop hat. Hintergrund war, dass das Netzteil meines Netbooks plötzlich nicht mehr funktionierte. Ich wartete rund 20 Minuten auf ihn und wir machten uns gleich auf den Weg. Der Vorteil, wenn man mit einem Einheimischen unterwegs ist, ist, dass man ehrlicher beraten wird. So nahm der Kollege im Computer Shop erst einmal sein Multimeter zur Hand und machte eine Widerstandmessung des Kabels. Dies brachte auch gleich den Fehler zu Tage, so dass ich nur ein neues Kabel kaufen musste und nicht gleich in neues Netzteil.
Als wir den Computer-Shop verliessen, gesellte sich Muhammad, Albims Freund noch dazu. Wir unterhielten uns etwas über unsere Pläne und sprachen davon, dass ich nach Tuyuq, einem traditionellen Dorf in der Nähe von Turpan fahren wollte. Wir gingen zusammen zurück zum Hotel, da ich Tim mitnehmen wollte. Aus dieser Aktion wurde schlussendlich eine Diskussion mit Hand, Fuss, etwas Uighurisch, etwas Englisch und Google Translate. Diese dauerte weit bis in den Nachmittag. Am Nachmittag entschieden wir uns Ahmad, einen Couchsurfer den ich kontaktiert hatte, anzurufen. Ahmad ein Uighure, der als Biologe, Englischlehrer und Reiseführer sehr gut englisch sprach.
Zu fünft sassen wir in unserem kleinen Hotelzimmer und führten die Diskussion noch etwas weiter. Albim war interessiert, wie wir gemeinsam Geschäfte machen könnten, nur leider ist Tiernahrung nicht so direkt auf meinem Radar. Muhammad und Albim verliessen uns dann und Ahmad nutzte die Gelegenheit uns einige Geschichten rund um Turpan und die Uighuren in Xinjiang zu erzählen. Seine erste Tätigkeit war allerdings, sämtliche Stecker von den elektronischen Geräten zu ziehen, da er befürchtete, wir könnten abgehört werden.
Ahmad war nicht der erste, der uns erzählte wie schwierig es anscheinend ist in Xinjiang einen Reisepass zu erhalten. Normalerweise würde dies nur dann funktionieren, wenn man rund 2000-3000US$ auf den Tisch legt, um die Beamten zu schmieren. Der Reisepass selbst kostet nur 250RMB, umgerechnet rund 60US$. Eine weitere Geschichte betraf das Zentrum von Turpan. Mittlerweile sehr modern und sehr gut gepflegt ersetzt es das alte uighurische Zentrum. Allerdings ist dieses Zentrum rund 2 Quadratkilometer gross und sobald man sich vom Zentrum etwas entfernt, erreicht man in alle Himmelsrichtungen die uighurischen Stadtteile.
Mit Ahmad machten wir anschliessend noch eine kleine Tour über den Markt, wobei er uns bei einigen Erledigungen half, bevor er sich für das Abendgebet verabschiedete. Ich hoffe sein Traum mit seiner Frau ins Ausland zu ziehen wird in Erfüllung gehen.
Dem Sonntag mit den Einheimischen folgte für mich ein Montag als Tourist. Da Tim auf Grund seiner Erkältung im Bett blieb, machte ich mich auf den Weg eine Fahrgelegenheit zu einem guten Preis zu den Sehenswürdigkeiten rund um Turpan zu suchen. Da wir direkt bei unserer Ankunft an einer Taxisammelstelle vorbeigekommen waren, ging ich dort hin. Zu meiner Üeberraschung war es kein Problem, den von mir gewünschten Preis auszuhandeln.
Zunächst führte die Fahrt in das kleine Dörfchen Tuyuq, ein traditionelles Dorf in der Tiefebene von Turpan. Im Sommer bis zu 50°C heiss, waren es bei unserer Ankunft -13°C. Die Tiefebene liegt 154m unter dem Meerespiegel und ist primär bekannt für Rosinen. Die Ebene ist mir Reben überzogen und rund 75% der Trauben werden zu Rosinen verarbeitet.
In Tuyuq gab es traditionelle Häuser, eine Moschee und eingefrorenes Bewässerungssystem zu sehen. Letzters glich eher einer Bobbahn, da die Eisschicht leicht geneigt war. Etwas weiter hinten im Tal sind an den Felswänden unzählige Höhlen zu erkennen. Diese entstanden im 3 Jahrhundert, als der Buddhismus in diese Region einzog, waren aber aktuell nicht zu besuchen.
Von Tuyuq machten wir uns auf den Weg zu den Buddhahöhlen von Bezeklik. Die Höhlen selber waren wenig beeindruckend, ausser dass ich behaupten kann, 6000 Buddhas gesehen zu haben, bleibt ein eher ernüchternder Eindruck. Die Fahrt zu den Höhlen war allerdings atemberaubend. Die Flaming Mountains aus knallrotem Gestein und die Schlucht zwischen den Bergen waren wirklich beeindrucken. Ebenso nett ist die kleine Handwerkssiedlung kurz vor den Höhlen. Diese macht allerdings den Eindruck als wäre sie nur für die Touristen gebaut worden.
Von den Buddhahöhlen ging es erst einmal zurück nach Turpan, um Erdgas zu tanken, wozu ich mich hinten im Auto verstecken musste, um anschliessend westlich von Turpan die Siedlung Jaohe zu besuchen. Diese Ruinen waren für mich eines der Highlights von alten Siedlungen, welche ich auf meiner ganzen Reise gesehen habe. Aus der Zeit der Han-Dynastie (rund 200 v. Chr. bis 200 n. Chr.) stammend, bat die Siedlung Platz für 6500 Personen. Von unzähligen Gebäuden stehen heute noch meterhohe Mauern und wenn man durch die Strassen geht, erhält man eine sehr gute Vorstellung, wie diese Siedlung einmal ausgesehen haben muss. Insbesondere vom Plateau im Nordwesten hat man eine tolle Üebersicht über die ganzen Ruinen.
Auf dem Weg von den Ruinen zu den Karez, den Bewässerungssystemen in der Wüste, wurde gerade ein Pferd zerlegt. An einer Stelle wurden Füsse und Kopf gestapelt, an einer anderen die Innereien zerlegt. Mein Fahrer kaufte sich eine Portion Fleisch, bevor wir zu den Karez weiterfuhren. Die Karez sind unterirdische Bewässerungskanäle, welche in den Bergen in die wassertragende Gesteinsschicht reichen und das Wasser rund 8-10 Meter unter der Oberfläche bis zu den Plantagen bringen. In Abständen von einigen Metern gibt es jeweils einen vertikalen Schacht, welcher für die Erstellung und Wartung genutzt wurde und wird. Die Karez funktionieren in Xinjiang auf die selbe Art und Weise, wie sie dies zum Beispiel im Iran tun, ein weiteres Zeugnis des Austauschs auf der Seidenstrasse.
Bevor mich der Fahrer zurück zur Taxisammelstelle brachte, lud er mich noch zu einem Laghman ein, welches natürlich wieder ausgezeichnet schmeckte. Nur konnte ich weder mit seiner Essgeschwindigkeit noch mit der Lautstärke mithalten. Nach der touristischen Tour machte ich mich auf den Weg, das Büro für Bahnfahrkarten zu finden, um mich dort und später im Busbahnhof zu erkundigen, wie ich nach Dunhuang kommen würde. Auf Grund der komplizierten Verbindungen und der für diese Jahreszeit eher uninteressanten Sehenswürdigkeiten in Dunhuang entschied ich mich dann nach Jiaoyuguan, dem westlichen Ende der grossen Mauer, weiterzufahren.
Am Dienstagmorgen genossen wir das Hotelzimmer noch etwas, bevor wir uns auf den Weg machten, die Bahnfahrkarten zu kaufen. Diesmal waren wir vorbereitet, denn wir hatten eine Webseite gefunden, welche übeer alle Verbindungen der chinesischen Eisenbahn informiert. Leider waren wir wieder etwas kurzfristig beim Kartenkauf, so dass es einmal mehr nur Stehplatzkarten gab. Von den Erfahrungen vom letzten Mal, machten wir uns aber keine grösseren Sorgen.
Wir nutzten den Rest des Tages für einen Spaziergang zum Emim Minarett, dem höchsten Minarett in China, sowie durch uighurische Teile der Stadt. Auch wenn diese Stadtteile viel staubiger sind, als die modernen chinesischen, so haben sie doch viel mehr Charme. Alte Häuser mit grossen Innenhöfen, welche definitiv noch an die Oase erinnern, säumen die Strassen. Dazwischen gibt es immer wieder kleine bunte Moscheen. Das Emim Minarett schauten wir uns dann nur von aussen an.
Zurück in der Innenstadt deckten wir uns mit Lebensmitteln für die 15 Stunden Bahnfahrt ein, welche bevorstanden. Vom Busbahnhof fuhren wir mit einem Minibus zum Bahnhof, wo die Wartehalle schon sehr gut mit Passagieren gefüllt war. In Turpan ist die Wartehalle so organisiert, dass es für jeden Zug eine Stuhlreihe gibt. Als unser Zug ankam standen zu unserer Üeberraschung nur wenige Leute auf.
Auf dem Bahnsteig kam dann die grosse Üeberraschung da sich dort plötzlich sehr viele Leute befanden und der Zug eigentlih auch schon voll war. Mit unserem Gepäck war es nur sehr schweir möglich, überhaupt in den Wagen zu kommen. Zum Glück sind die Gepächablagen in den Zügen gross genug, so dass wir Tim’s Taschen und meinen Rucksack gut unterbringen konnten. Sogleich steuerte ich auf eine Schaffnerin zu, um ein Upgrade in einen Schlafwagen oder mindestens einen Sitzplatz zu ergattern. Leider ohne Erfolg. Der Chef-Schaffner kam später nochmals vorbei, um uns zu erklären, dass es keine freien bequemen Plätze im Zug geben würde.
Resigniert stellten wir uns in den Flur und harrten der Dinge, die da kommen würden. Zum ersten Mal bereuten wir unsere Wahl den langsameren Zug gewählt zu habe. Dieser hatte zwar bessere Abfahrts- und Ankunftszeiten, benötigte für die Strecke von Turpan nach Jiayuguan vierzehneinhalb Stunden. Während dieser Zeit konnten wir hautnah erleben, wie die Wanderarbeiter mit dem Zug quer durch China reisen, denn dies war der günstigste Zug auf dieser Strecke. Im Gegensatz zu uns waren allerdings die meisten Fahrgäste nicht nur einen halben Tag im Zug, sondern die vollen 57 Stunden, die der Zug von Aksu nach Baoji benötigt.
Zum Glück gab es zwischenzeitlich immer wieder freie Sitzplätze, entweder auf der richtig harten Sitzbank oder aber den mitgebrachten Hockern. Als es heisses Wasser für das Abendessen im Wagen, brach ein riesiges Gedränge aus, denn jeder wollte seine Thermoskanne auffüllen oder seine getrockneten Nudeln mit Sauce anrühren. Richtig Ruhe kehrte nie ein, denn immer war jemand lautstark dabei etwas zu erzählen oder aber es wurde ein Film auf einem Handy abgespielt. Gegen morgen lagen dann die Körper wie nach einem Bombenanschlag kreuz und quer im Zug verteilt und es gab beinahe keinen Platz mehr, um seine Füsse zu bewegen. An den verschiedenen Haltestellen waren immer wieder einige Leute zugestiegen, aber beinahe niemand verliess den Zug. Immerhin konnten Tim und ich unsere bescheidenen Mandarin-Kenntnisse auf die Probe stellen. Die Begrüssung funktionierte schon grossartig und das Zählen haben wir mittlerweile auch schon begriffen.
Am Morgen sehnten wir dann unseren Halt in Jiayuguan sehnlichst herbei. Einerseits waren wir todmüde, andererseits waren die Chinesen im Zug auch ziemlich anstrengend. Sämtliche Bestandteile der Kleidung wurden natürlich gleich mit den Händen begutachtet, von einigen wurde man die halbe Nacht lang angestarrt. Am schwierigsten auszuhalten war aber das dauernde Gedränge, denn es gab nur sehr kurze Zeiten, während welchen keiner durch den engen Gang drängelte. Am schlimmsten war dabei die Tatsache, dass es auf dem Zug mehrere Minibars gab, welche immer wieder vorbeikamen und jeweils den ganzen Wagen aufscheuchten. An zweiter Stelle kamen dann die Schaffner.
Als wir in Jiayuguan endlich auf dem Bahnsteig standen, mussten wir erst einmal durchatmen. Freundlich wurden wir nach einer kleinen Fotosession mit einem einheimischen dann verabschiedet. Wir fanden auch gleich einen Stadtbus, welcher uns vom Bahnhof in die Innenstadt fuhr, wo wir nach einer müden und deshalb lange andauernden Suche eine Unterkunft für die folgende Nacht fanden.