Irkutsk: Im Herzen Sibiriens

Das nächste Ziel unserer Reise ist der übliche Zwischenstopp für alle Reisenden auf einer der Bahnstrecken durch Sibirien: Irkutsk. Dies macht sich einerseits bemerkbar durch die viel grössere Vielfalt an Üebernachtungsmöglichkeiten als in Jekaterinenburg und andererseits auch im Tourismusangebot. Nur 70km vom Baikalsee und direkt am Fluss Angara gelegen bietet Irkutsk und Umgebung viele Möglichkeiten Sibirien etwas genauer kennenzulernen. Wir hatten uns für einen Aufenthalt von 4 Tagen entschieden.

Vom Zug kommend verliessen wir das Bahnhofsgebäude die Taxifahrer ignorierend auf der Suche nach der Strassenbahnhaltestelle. Nach kurzem Nachfragen machten wir diese aus und fuhren wenig später Richtung Innenstadt. Mit einem kleinen Umweg fanden wir schliesslich auch unser Hostel, wo wir erst einmal die Besitzerin aus den Federn klingelten. Obwohl wir ihr Bescheid gegeben hatten, dass wir vormittags eintrudeln würden, hatte sie nicht ganz so früh mit unserer Ankunft gerechnet. Es war auch kurz vor 10 Uhr noch dunkel draussen.
Nichts desto trotz durften wir bereits die Wohnung beziehen, die eigentlich aus drei Gästezimmern bestand. Da wir leicht ausserhalb der Hauptsaison reisten, hatten wir die Wohnung für uns alleine. Galina erklärte uns trotz allem, wo wir in der Stadt was finden würden und wo es günstig russisches Essen gibt. Die Essenspreise sind in Russland mit denen in Deutschland vergleichbar und häufig gibt es nur Restaurants oder Cafés mit internationaler Küche zu finden. Russisch wird vermutlich nur zu Hause gegessen.

Dämpfender Angara Fluss im Frost

Dämpfender Angara Fluss im Frost

Unsere erste Station auf dem folgenden Stadtrundgang war das Hotel Irkutsk, gleich um die Ecke von unserer Unterkunft. Dort sollten unsere Fahrkarten für den Zug von Irkutsk nach Harbin hinterlegt sein. Die Dame an der Rezeption zeigte uns das kleine Reisebüro in der Ecke der Lobby. Die Dame hatte erst überhaupt keine Ahnung, wer wir sein könnten und dass Fahrkarten für uns reserviert sein könnten. Mit ein bisschen Nachdruck konnte sie sich dann doch noch an unsere Fahrkarten erinnern und zog zwei schöne Exemplare aus ihrer Schublade. Wir prüften die Details und fanden, dass alles stimmte. Hatte also alles gut mit der Buchung bei einer Reiseagentur und der Hinterlegung geklappt.
Vom Hotel Irkutsk folgten wir anschliessend der Uferpromenade des Angara Flusses, um nach rund 1,5km Richtung Zentrum abzubiegen. Da Lenka schon Hunger hatte wollte es der Zufall, dass wir in der japanischen Strasse in Irkutsk Pozi fanden, eine lokale Spezialität. Die mit Fleisch gefüllten Teigtaschen erinnerten sehr stark an das, was ich vor gut einem Jahr in Zentralasien als Manti gegessen hatte.
Von der japanischen Strasse fällt man einmal um, um auf den Kirov-Platz, den Hauptplatz von Irkutsk zu gelangen. Neben dem riesigen Weihnachtsbaum ziehen dutzende von Eisskulpturen und eine kleine Eisrutschbahn Jung und Alt zum Verweilen an. Eisskulpturen schienen ein uns begleitendes Phänomen auf dieser Reise zu sein.

Väterchen Frost auf dem Kirov Platz

Väterchen Frost auf dem Kirov Platz

Vom Kirov-Platz folgten wir dem grünen Touristenpfad durch die Stadt. Dieser führte erst wieder zum Angara Fluss durch das Kirchenviertel. In der einen Kathedrale die wir kurz besichtigten liefen die Vorbereitungen aufs kommende orthodoxe Weihnachtsfest auf Hochtouren.
Der grüne Pfad führte uns weiter vom alten Stadtzentrum vorbei an verschiedenen Handelshäusern zum modernen Zentrum der Stadt. Dort fanden wir einen Grossteil des öffentlichen Lebens der Stadt vor. Neben Markt und Einkaufszentrum befinden sich dort auch Theater und Kino in einer netten Fussgängerzone. Den orthodoxen Heiligabend begannen wir mit einem typischen russischen Frühstück: Bliny (Pfannkuchen) mit Marmelade und Birnenpirogen. Durch das nette Gespräch mit Galina in der Küche dauerte dann fast den ganzen Morgen, dafür hatten wir auch wieder ein paar Tipps für unser Tagesprogramm im Gepäck.
Wir beschlossen uns, den Stadtrundgang vom Vortag auf dem Markt fortzusetzen. Eines der Ziele war eine warme sibirische Mütze zu kaufen. Der zweite Händler, dem wir begegneten überraschte mit der Tatsache, dass er mir die Mütze zum geforderten Preis überliess, als ich mich von ihm bereits abgewendet hatte. Die Preisdifferenz zwischen ursprünglich gefordertem und schlussendlich bezahltem Preis und das Verhalten des Händlers zeigten mir zwei Dinge: die Händler sind sich Touristen gewöhnt, die generell zu viel bezahlen und ich habe trotz für meine Verhältnisse erfolgreichem Verhandeln zu viel bezahlt.
Wir schauten uns im Zentrum etwas um und begaben uns nochmals zum Angara Fluss, um uns die nahegelegene Insel anzuschauen. Dort fanden wir dann einen Russen, der mit dem Gewehr im Anschlag im Schnee lag. Zu unserer Sicherheit drehten wir dann um, nicht wissend ob der Genosse eher auf Menschen, Tiere oder vielleicht Tontauben schoss.
Essen fanden wir dann in einem Viertel der Stadt, in welchem neue Holzhäuser nach traditioneller Art aufgebaut werden. Irkutsk besteht heute noch aus vielen über 150 Jahre alten Holzhäuser. Diese haben allerdings alle ein Problem: sie sinken ein. Galinas Haus zum Beispiel ist seit es gebaut wurde um 1,3m im Boden versunken. Die Fenstersimse befinden sich beinahe auf Strassenniveau. Einige sind auch nur teilweise abgesackt und stehen ziemlich schräg da.

Traditionelles Holzhaus in Irkutsk

Traditionelles Holzhaus in Irkutsk

Heiligabend begingen wir dann mit den Russen zusammen in einer der vielen Kirchen in Irkutsk. Die über 2-stündige Liturgie war einerseits geprägt vom Kommen und Gehen von Leuten, andererseits von viel Gesang. Beeindruckend war der Männerchor mit dem russischen Bässen, wie sie sich jeder Dirigent wünscht. Da müssen wohl einige Gene der Bären auf den Menschen übertragen worden sein.
Den dritten Tag unseres Irkutsk-Aufenthaltes widmeten wir schliesslich dem Baikalsee. Mit Strassenbahn und Minibus fuhren wir nach Listvyanka, dem Touristenörtchen am südwestlichen Ende des Sees gelegen. Beim Spaziergang durch das östliche Ende des Dörfchens sahen wir reihenweise kleine Omulräuchereien. Der Omul ist wohl der meistgefangene Fisch im Baikalsee und die geräucherte Variante des Fischs die populärste. Sowohl auf dem Baikalsee wie auch auf dem Angara Fluss sahen wir Angler, welche sich ein Loch ins Eis gebohrt hatten, um Haken und Köder ins Wasser zu lassen.

Schwarzgefrorener Baikalsee

Schwarzgefrorener Baikalsee

Auf unserem Spaziergang ins Hinterland von Listvyanka trafen wir auf die Hundeschlittenstation. Hundeschlittenfahren war eines der Dinge, welche ich unbedingt ausprobieren wollte. Nach einer spontanen Geldbeschaffungsaktion konnten wir uns den Spass auch leisten. Ein deutsches Pärchen kam gerade von deren Runde zurück und das Mädel war so begeistert, dass es ihr beinahe die Stimme überschlug. Wir stellten dann später fest, dass sie auch so sehr mitteilungsbedürftig ist, was für die kurze Zeit doch recht amüsant war.

Lenka als Musher bei Listvyanka

Lenka als Musher bei Listvyanka

Anschliessend an die Hunderunde gabâEURTMs mal wieder etwas zu essen und wir machten uns auf den Weg zur Fähranlegestelle, von welcher aus man nach Port Baikal übersetzen kann. Einerseits hatten wir das Glück gerade eine Fähre zu sehen, auch wenn wir sie nicht benutzten. Andererseits fährt die Fähre direkt an der Linie, an welcher das Eis des Baikalsees endet und das Wasser in den Angara Fluss abfliesst. Wir lernten dann später, dass man dem See beim zufrieren zusehen kann, denn es dauert anscheinend nur 1-2 Tage, bis der See erstmals zugefroren ist.

Eis am Baikalsee

Eis am Baikalsee

Auf dem Weg zurück zu unsere Unterkunft kamen wir noch mit einem russischen Händler ins Gespräch. Dieser erzählte uns von seinen Heldentaten als Instruktor der roten Armee für Flugleitsysteme im Warschauer Pakt, wie er kreuz und quer durch Europa und China gereist ist und 1968 in die Tschechoslowakei einmarschiert ist. Angesichts der Erscheinung des Kerls war es nicht ganz einfach, seine Geschichten nachzuvollziehen, jedoch galt es zu beachten, dass zwischen seinen Heldentaten uns der gegenwärtigen Zeit eine nicht zu vernachlässigende Revolution über sein Land gezogen ist und die Umstände sich bestimmt drastisch geändert haben. Nach einem leckeren Bettmümpfeli machten wir uns auf den Weg zur Unterkunft.

Mystische Fähre am Baikalsee

Mystische Fähre am Baikalsee

Den letzten Tag in Irkutsk widmeten wir dem Freilichtmuseum von Taltsy. Dieses befindet sich 20km vor Listvyanka am Ufer des Irkutsker Meers, wie die Einheimischen ihren Stausee nennen. Das Museum zeigt Holzbauten aus dem Irkutsker Landkreis, welcher beinahe so gross ist, wie Westeuropa. Die Häuser datieren von 17. bis ins 20. Jahrhundert. Die Entwicklung vom Nomaden zum sesshaften Menschen lässt sich darin ebenso erkennen, wie die Standesunterschiede der Menschen, welche wohl in diesen Gebäuden gelebt haben.

Ganz Sibirien ist von den Russen besetzt! Ganz Sibirien?

Ganz Sibirien ist von den Russen besetzt! Ganz Sibirien?

Wir waren überrascht, dass es wohl viele Autos auf dem Parkplatz des Museums gab, allerdings wenig Besucher im Museum zu sehen waren. Die Besucher fanden wir schliesslich Nahe des Sees, wo sich nicht nur Grills und Samoware aufgestellt waren, sondern drei ziemlich lange eisige Rutschbahnen gebaut worden waren. Jung und Alt vergnügten sich bei diesem eisigen und rasanten Spiel. Daneben gab es noch einige keiner Stände, bei denen man Preise mit Eisballschleudern gewinnen konnte oder auf eine grosse luftgefüllte Matte springen konnte. Wir genossen in erster Linie die frische Luft und das schöne Wetter.
Nach unserem Besuch im Museum stellten wir uns an die Hauptstrasse, um den nächsten vorbeifahrenden Minibus zurück nach Irkutsk zu nehmen. Dies misslang, da bevor ein solcher auftauchte, wir bereits von einem freundlichen Irkutsker Pärchen mitgenommen wurden. Wir wurden in Soltschenij Mikrorayon abgesetzt, von wo aus wir noch auf den Russen beim Eislaufen zuschauten und die Angara, einen ehemaligen Eisbrecher bewunderten.

Rodeln auf Russisch

Rodeln auf Russisch

Um etwas typisch russisches Essen zu können, hatten wir uns für diesen Abend bei Galina zum Essen angemeldet. Wir wurden nicht enttäuscht. Russisch rustikal und sehr lecker haben wir gegessen. Insbesondere die Mohnpirogen zum Dessert hatten es uns angetan, nur waren diese leider auch sehr schnell weg.
Danach mussten wir unsere sieben Sachen schon wieder zusammenpacken, fuhr doch am nächsten Morgen bereits unser Zug weiter über die russisch-chinesische Grenze nach Harbin.