Unser erster Halt auf dem Weg von Moskau nach Beijing mit der Eisenbahn war Jekaterinenburg. Im Zug wurden wir von unserem Abteilgefährten noch gefragt, was wir denn in Jekaterinenburg wollten, da würde es doch nichts zu sehen geben. Doch die Stadt selber hat einiges zu bieten und eine wichtige Attraktion befindet sich gleich ausserhalb der Stadt im Ural.
Als wir den Zug pünktlich um 20:32 Ortszeit verliessen, waren wir vor allem von einem überrascht: von der Kälte. Hatten wir aus Moskau noch die Information, dass die Temperatur rund -7°C betragen würde, war sie in den vergangenen 24 Stunden um 10°C auf -17°C gefallen. Dies spürten wir gleich bei den ersten Schritten, blies uns doch ein kalter Wind ins Gesicht. Zu unserem Glück hatten wir ein Hotelzimmer im Marins Park Hotel reserviert, denn das Hotel liegt direkt gegenüber des Bahnhofes.
Für ein Hotel, welches sich anschickt ein angesagtes Konferenzhotel zu sei (laut Reiseführer), waren die Zimmer dann doch eher bescheiden und Nichtraucherzimmer gab es nicht, sondern nur unterschiedliche Abstufungen von verraucht. Obwohl sehr abgenutzt, war unser Zimmer schliesslich sauber, gut geschlafen haben wir und warmes Wasser zum Duschen gab es ebenfalls.
Zwei Fragen gab es für uns schliesslich zu klären: wo wird in Jekaterinenburg Neujahr gefeiert und wo gibt es eine Kleinigkeit zu essen. Die nette Dame an der Rezeption empfahl uns den Platz des Jahres 1905. Sie meinte, es wäre kein Problem, zu Fuss dahin zu gehen, da es nur rund 30 Minuten seien und es gegenwärtig ja nicht so kalt sei. Feige, wie wir sind, entschieden wir uns mit der U-Bahn zu fahren. Essen, so dachten wir, würden wir dann im Stadtzentrum schon finden.
Wir staunten nicht schlecht über das, was wir auf besagtem Platz antrafen. Unmengen von Leuten waren es nicht, doch es gab eine aufgelockerte Stimmung zwischen Eisskulpturen und Ess- und Verkaufsständen. Da wir noch etwas Zeit bis Mitternacht hatten, suchten wir noch ein Restaurant. Allerdings ohne Erfolg, alles, was wir fanden, war geschlossen. Schliesslich verpflegten wir uns an einem der Essstände und warteten gespannt mit den Russen auf die Ansprache von Vladimir Putin, die auf einer grossen Videowand wiedergegeben wurde. Es schien die Leute richtig zu interessieren, was er zu sagen hatte.
Und dann endlich war es soweit: 2012 war zu Ende und das neue Jahr begann. Für Lenka und mich war es in 10 Jahren das erste Mal, dass wir den Jahresanfang gemeinsam feierten. Ausserdem waren wir das erste Mal zusammen in Russland und konnten mit den Russen feiern. Und zu guter Letzt waren wir auf der asiatischen Seite des Urals und somit hat Lenka auch zum ersten Mal in Asien Neujahr gefeiert.
Sehr schnell verschwand die Menge in alle Himmelsrichtungen. So auch wir, waren wir doch von der Reise noch etwas müde.
Für dem ersten Januar hatten wir uns dann auf eine scheinbar einfache Üebung eingelassen: wir machten uns auf die Suche nach der offiziellen Grenze zwischen Europa und Asien. Laut Reiseführer wieder hatten wir erst einmal die Qual der Wahl. Es gibt nämlich in der Nähe von Jekaterinenburg mindestens zwei Monumente, welche diese Grenze repräsentieren. Wir entschieden uns für das historische, welches rund 40km ausserhalb von Jekaternenburg gelegen ist. Wo genau sich dieses Monument befindet, wussten wir nicht. Die einzige Beschreibung, die wir hatten war, dass wir mit dem Bus nach Pervouralsk fahren sollten und von dort sei es dann noch 2km zu Fuss. Nicht einmal eine Himmelsrichtung für den Fussmarsch kannten wir.
Von Jekaterinenburg nach Pervouralsk fahren regelmässig Busse vom nördlichen Busbahnhof, direkt neben dem Bahnhof. Wir fuhren bis zur Busstation von Pervouralsk und hofften dort einen Hinweis auf das Monument zu finden. Leider ohne Erfolg. Die Nachfrage bei einer Verkäuferin ergab, dass das Monument wohl 15km von der Busstation entfernt liegen soll und mit der Buslinie 103 erreicht werden kann. Die Dame am Ticketschalter informierte uns dann, dass jener Bus erst am 2. Januar wieder fahren würde. Wieder bei der Verkäuferin erklärte uns diese, dass es noch eine Option mit dem Bus Nummer 4 geben würde. Wir machten uns auf den Weg in die Richtung, in die die Verkäuferin grob gezeigt hatte.
An einer Bushaltestelle begegneten wir wiederum einem Jungen, der uns zu verstehen gab, dass sich das Monument ausserhalb der Stadt befinden würde. Auch er zeigte wieder in eine grobe Richtung. Wir gingen in die gezeigte Richtung, vorbei an einer Tankstelle, bis wir zu einem Punkt kamen, an dem wir uns entschieden, dass dies unmöglich die richtige Richtung sein konnte. Wir gingen zurück zur Tankstelle und konnten endlich mit zwei Leuten sprechen, die wirklich verstanden, wohin wir auf dem Weg waren. Die eine war die Tankstellenwärtin, der andere ein Kunde. Der Kunde bot uns dann sogar noch an, uns ein Stück weit mitzunehmen. Gerne nahmen wir dieses Angebot an, obwohl wir die Strecke schon kannten, fuhren wir doch genau in die Richtung aus der wir zurückgekommen waren. Er zeigte uns noch wie wir weiter zu gehen hatten und wir verabschiedeten uns von ihm mit Spassiba, s novim godom (Danke, ein gutes neuer Jahr).
Einmal fragten wir noch nach der Richtung bei einem jungen Herrn in einer Methantankstelle, der anscheinend froh war, mal wieder eine Menschenseele zu sehen. Freudig erklärte er uns, dass es noch rund anderthalb Kilometer zu dem bolschoi complex (grossen Komplex) sei, welcher die Grenze zwischen Europa und Asien darstellt.
Rund 15 Minuten später hatten wir es tatsächlich geschafft! Wir waren an der offiziellen Grenze zwischen Europa und Asien angekommen. Neben dem historischen Stein, welcher im 19. Jahrhundert gesetzt wurde steht heute eine riesige Säule einsam im Wald und deutet auf diese wichtige Grenze hin. Bei der lokalen Bevölkerung scheint der Ort auf jeden Fall beliebt zu sein, waren doch noch deutliche Spuren von der vergangenen Nacht zu erkennen.
Nach einigen Erinnerungsfotos machten wir uns auf den Rückweg nach Jekaterinenburg. Da wir auf unserer Suche an verschiedensten Bushaltestellen vorbeigekommen waren und die nächste zum Monument auch zugleich Halt für den Bus nach Jekaterinenburg war, war dies ein einfaches Unterfangen.
Ein weitaus schwierigeres Unterfangen war dann wieder die Suche nach einem Abendessen. Im Gegensatz zum Vorabend waren einige Restaurants geöffnet, es handelte sich jedoch ausschliesslich um ausländische Lokale (japanisch, italienisch, amerikanisch). Unser bevorzugtes russisches Restaurant, wo wir leckere Pirogen probieren wollten, war noch geschlossen. So endeten wir bei T.G.I. FridayâEURTMs als Alternative zu einem Pizza Fastfood Lokal. Dafür gönnten wir uns anschliessend eine richtig dicke warme Schokolade bei der Schokoladnitza nebenan. CafeâEURTMs, die immer auch kleine Mahlzeiten anbieten, scheinen richtig zu boomen in Russland, wobei Starbucks nicht mal stark vertreten ist.
Unser zweiter Tag in Jekaterinenburg galt den Sehenswürdigkeiten in der Stadt. Zwei Dinge wir auf keinen Fall verpassen: zum einen wurde mit dem Mord an der Familie Romanov 1918 endgültig das Ende des Zarentums in Russland besiegelt und zum anderen stammte Boris Jeltzin aus Jekaterinenburg. Letzterem wurde eine schöne Statue an einer nach ihm benannten Strasse gewidmet. Die Bilder, an die wir uns jedoch vom ersten Präsidenten des âEURzdemokratischenâEURoe Russlands erinnerten, wichen in einem Detail massiv von der Statue ab: es fehlte die rote Nase.
Auf unserem Streifzug durch die Stadt sahen wir verschiedene historische Häuser und Monumente. Von den vielen Museen suchten wir uns das Meteknov-Haus als Ziel aus. Wir erwarteten eine ausgedehnte Sammlung von Bildern des alten Jekaterinenburgs. Einige fanden wir dann auch in der Ecke, in der es um die Geschichte der Familie Metenkov ging. Metenkov war vor hundert Jahren so wie es scheint der Stadtfotograf. Die Hauptausstellung aber waren Tierbilder von Fotografen aus ganz Russland und anderen Ländern.
Bevor wir uns wieder zu Shtolle, dem am Neujahrtag geschlossenen Pirogen-Restaurant, aufmachten, besuchten wir noch den Ort, an welchem 1918 der Zar Nikolai II, seine Frau und ihre 4 Kinder ermordet wurden. Ein Film über die Geschehnisse von damals im Flug von Beijing nach Moskau hatte die passende Einführung gegeben. Das Haus von damals hat Boris Jeltzin 1977 abreissen lassen, um eventuelle anti-kommunistischen Bewegungen um ein potentielles Heiligtum zu berauben. Da das neu entstandene Museum allerdings nur mit einer in Russisch gehaltenen Führung zu besuchen ist, sahen wir von der Führung ab.
Stattdessen besuchten wir noch das Untergeschoss der Kathedrale nebenan und machten uns auf den Weg zu den lange ersehnten Pirogen. Die Auswahl liess Grosses erwarten, jedoch war die Aussage der Bedienung etwas ernüchternd, als sie uns mitteilte, dass es von den salzigen Pirogen nur jene mit Kartoffeln und Pilzen gab und von den süssen noch ein Stück mit Apfel und ansonsten Moosbeeren (der modernen Technik sei Dank, das wir eine ungefähre Idee haben, was eine Moosbeere ist). Für Lenka war der Geschmack wie Johannisbeeren, für mich eher wie eine saure Zwetschge. Schlussendlich handelt es sich um eine Art Preiselbeere.
Um uns für die folgenden zweieinhalb Tage im Zug vorzubereiten, machten wir uns nach dem leckeren Abendessen auf Einkaufstour. Gar nicht so einfach etwas Passendes in guter Qualität zu finden. Die Supermärkte in Jekaterinenburg waren tendenziell klein und hatten nur wenig Frisches im Angebot. Üeber drei Supermärkte verteilt fanden wir dann doch das Nötigste, um die Grundverpflegung sicherzustellen. Den Rest wollten wir durch Essen von den sibirischen Babuschkas auf den Bahnsteigen und im Speisewagen besorgen.
Pünktlich um 21:51 rollte der Zug 350 von Moskau kommend nach Blagoveschtschensk im Bahnhof von Jekaterinenburg ein. Die Provodnitsa wusste nicht so recht, was sie mit unseren e-tickets anfangen sollte, liess uns allerdings einsteigen. Mit uns begab sich noch ein weiterer Schweizer mit seiner finnischen Begleiterin in den Zug. Unser folgendes Problem war es, dass wir die Plätze 37 und 38 in einem Wagen erhalten hatten, welcher aus 9 Abteilen zu 4 Plätzen besteht. Die Provodnitsa wies uns nach einem ersten Irrlauf darauf hin, dass wir das kleine 2er-Dienstabteil erhalten hatten. Zum einen ein Vorteil, da konnten wir ungehindert unser Chaos ausbreiten, zum andern aber auch enttäuschend, da wir nichts von russischen Mitfahrern lernen konnten.
Nach einer Weile erschien die Provodnitsa wieder mit ihrem Chef in unserem Abteil und sie erklärten uns, dass unsere Ausdrucke keine gültigen Fahrkarten waren, sondern nur Voucher, mit denen man die gültigen Fahrtkarten an einem beliebigen Bahnschalter in Russland abholen konnte. Gütigerweise wurden wir dann nicht aus dem Zug gewiesen, sondern die Provodnitsa nahm am nächsten Morgen unsere Pässe mit und kam nach dem nächsten längeren Halt mit frischen Fahrkarten zurück.
Die nächste Üeberraschung folgte dann kurz vor Mittag, als die junge Dame aus dem Speisewagen bei uns auftauchte und fragte, was wir denn gerne essen würden. Wir gaben ihr unseren Wunsch bekannt und fragten, was das Essen denn kosten würde. Sie meinte es sei im Preis inbegriffen. Dafür dass dieser Zug einer niedrigeren Qualität angehören soll, als der Zug 26, mit dem wir von Moskau nach Jekaterinenburg gefahren waren, liess sich nur dem etwas älteren Rollmaterial anmerken.
So verbrachten wir den ersten Tag von Jekaterinenburg nach Irkutsk essend und die verschneite Taiga bestaunend.
Dass es sich beim Essen am ersten Tag im Zug um kein Versehen gehandelt haben konnte, erfuhren wir am zweiten Tag gleich doppelt. Kurz vor Mittag tauchte die Dame aus dem Speisewagen wieder auf und fragte nach unseren Essenswünschen. Die Auswahl war die selbe wie tags zuvor. Da das Essen als Frühstück galt und wir am folgenden Morgen in Irkutsk früh aufstehen mussten, erhielten wir am zweiten Tag noch eine dritte Portion aus dem Speisewagen. Das Timing war perfekt, waren wir doch gerade dabei unser Mitgebrachtes vorzubereiten. Durch die intensive Verpflegung mussten wir die Babuschkas auf den Bahnsteigen nicht in Anspruch nehmen, sahen aber auch nur einige wenige, welche mit Tüten oder Bananenkisten da standen.
Nach dem Mittagessen genossen wir die 43 Minuten Aufenthalt in Krasnoyarsk bei strahlendem Sonnenschein rund um den Bahnhof. Eine weitere Möglichkeit einen kurzen Einblick in ein Städtchen in Sibirien zu erhalten.
Durch die vielen Zeitverschiebungen, bis Irkutsk hatten wir seit Moskau bereits die 5. Zeitzone erreicht, war unser Schlafrhythmus etwas durcheinander. Nichtsdestotrotz standen wir am 5. Januar rechtzeitig auf und verpassten unsere pünktliche Ankunft in Irkutsk kurz vor der Dämmerung um 9:19 nicht.