Wie alle Kulturen dieser Welt kennt man in Europa die Chinesen und ihre Kultur meist nur von Medien. Es herrschen die Vorurteile und man hört hie und da von Erfahrungen von Touristen und Expats, den Entsandten von ausländischen Firmen. Zwei Dinge hört man sehr häufig über Chinesen: erstens soll man sehr gut aufpassen, was Preise und Qualität angeht, wenn man in China etwas kauft. Verhandlungsgeschick und Kenntnis der vorherrschenden Preise sollen enorm wichtig sein. Zweitens soll es sehr schwierig sein, Freundschaften mit den Chinesen aufzubauen. Zum Beispiel hätten die Chinesen kein Interesse, nach der Arbeit den Tag bei einem gemeinsamen Bier ausklingen zu lassen. Bei einem Networking Event, bei dem man Chinesen und Ausländer gleichermassen trifft, hatte ich Gelegenheit, etwas von Chinesen über die Hintergründe dieser Aussagen zu erfahren.
Geschäfte machen
Schon während meiner Reise quer durch China hatte ich feststellen können, dass die Chinesen sehr geschäftstüchtig sind. In Turpan waren Tim und ich zu einer Hochzeitsfeier eingeladen, mit zwei der Gäste unterhielten wir uns am folgenden Tag während mehreren Stunden, auch darüber, wie man gegenseitig Geschäfte machen könnte. Leider waren wir nicht kreativ genug, um etwas mit dem Tierfutter anfangen zu können, was die beiden uns anzubieten hatten. Auch in den letzten Monaten in Beijing konnte ich immer wieder feststellen, das überall jemand zu finden ist, der einem das anbieten kann, was man gerade benötigt. So hatten wir auf dem Gemüsemarkt nach bestimmten Dingen gefragt und da man diese nicht selbst im Angebot hatte, wurden sie kurzerhand beim gegenüberliegenden Stand eingekauft, vermutlich noch mit Gewinn.
Hartes verhandeln und teilweise eine initiale Preisforderung, welche bis zum Fünffachen des tatsächlichen Werts reicht, kommen vor. Was jedoch ist der Hintergrund, die Motivation für solche Forderungen? In China werden traditionell Geschäft in der eigenen Familie gemacht. Die Grossfamilie konnte immer viele Geschäftszweige abdecken. Gab es wichtige Produkte nicht in der eigenen Familie zu kaufen, musste ein viel höherer Preis dafür gezahlt werden. Üeberwunden hat man diese Preishürde durch Heirat. Wie in den Königshäusern in Europa konnte durch Heirat der eigene Einflussbereich oder eben die Erreichbarkeit zusätzlicher Waren ausgeweitet werden. Der Nachbar hat plötzlich keinen Grund mehr einen hohen Preis für ein bestimmtes Produkt zu verlangen, da ein entfernter Verwandter die Tochter eines Cousins geheiratet hat. Dieses System soll heute noch gelten.
Dazu kommt natürlich, dass der Chinese, auch wenn er nicht zur Verwandtschaft gehört, noch immer näher mit dem anderen Chinesen verbandelt ist, als mit dem Ausländer. Die Folge ist noch höhere Preise für die Ausländer. Durch noch so viel Verhandlungsgeschick ist es sehr selten möglich, als Ausländer einen Preis zu erreichen, welcher Einheimische bezahlen. Meine Vermutung ist, dass diese Preisstaffelung dadurch verstärkt wird, dass die Ausländer nicht gewohnt sind, hart zu verhandeln. Wir sind es gewohnt, im Supermarkt die Preise zu bezahlen, welche ausgeschildert sind. Wehe wir fangen an, an der Kasse den Gesamtpreis zu verhandeln, weil wir auf Grund des grossen Einkaufs einen Mengenrabatt erhalten wollen (das Beispiel ist etwas übertrieben, im Supermarkt wird auch in China nicht verhandelt!).
Diese Distanz bedeutet nicht, dass es für Ausländer unmöglich ist, faire Geschäfte mit den Chinesen zu machen. Da gibt es nämlich ein kleines Mittelchen, welches hilft: Beziehungen. Da durch die Einkind-Politik in China die Familien nicht mehr so gross und weitreichend sind, behilft man sich über Bekanntschaften weiter. Wozu in der westlichen Welt Social Networking im Web betrieben wird, tun die Chinesen dies im richtigen Leben. Man trifft sich bei allen Möglichkeiten. Bevor man allerdings einen Bekannten um einen Gefallen bittet, macht man ihm ein Geschenk, denn eine Hand wäscht die andere! Je mehr Hände man wäscht, desto einfacher macht man Geschäfte, desto grösser der Einfluss. Geschäftsbeziehung ersetzen die Grossfamilie. Wird man von Chinesen als Expat kontaktiert, bietet sich eine einmalige Gelegenheit, Bekanntschaft zu machen, sich gegenseitig kennenzulernen, um bei gegebenem Zeitpunkt einander weiterzuhelfen. Das Zauberwort in Chinesisch dafür lautet: 关系 (guÄnxì, die Beziehung, das Verhältnis).
Freunde machen
Ein ganz andere Geschichte als Geschäfte machen, ist Chinesen kennenzulernen und Freunde zu werden. Ausländern lernen Einheimische primär bei der Arbeit kennen. Wir kennen das aus Europa, mit den Kollegen nach Feierabend mal noch etwas trinken gehen, sich zu einem Ausflug treffen oder aber gemeinsam Sport treiben. All das ist für einen Europäer selbstverständlich. Für einen Chinesen allerdings das unnatürlichste was es gibt. Denn: Arbeit und Freizeit werden strikt getrennt. Wird man von einem Chinesen zum Beispiel zum Essen eingeladen, wird man dieses nicht bei ihm zu Hause geniessen, sondern in einem guten Restaurant, typischerweise in einem kleinen Raum in welchem genau ein grosser runder Tisch für rund 10 Personen steht.
Dass Kollegen zu Freunden werden ist nicht ausgeschlossen, immerhin verbringt man sehr viel gemeinsame Zeit. Allerdings sind Arbeit und Freizeit in dieser Hinsicht zwei ganz andere Welten. Wir beobachten zum Beispiel im Chaoyang Park, dem grössten Park in Beijing, Familien, wie sie einen Sonntag dort geniessen. Typischerweise trifft man zwei bis drei Generationen an. Junge Pärchen und hie und da einige Freunde, die zusammen die «frische» Luft geniessen.
Die Chinesen kämpfen mit einem grossen Dilemma, wenn es um die Beziehung zu Ausländern geht: einerseits sind sie sehr neugierig und offen für alles Neue. Wenn ein Chinese interessiert ist, was man in einer Tüte durch die Gegend trägt, dann steckt da schon einmal seine Nase drin. Andererseits können viele Chinesen nur Schulenglisch, wenn sie überhaupt Englisch sprechen. Sie wollen mit Ausländern sprechen, sind allerdings der Meinung, dass ihre Fremdsprachenkenntnisse zu schlecht seien, als dass man sich unterhalten könnte. Ich behaupte daher, dass es ohne Chinesischkenntnisse unheimlich schwierig ist, Chinesische Freunde zu finden, denn die Chinesen, die eine Fremdsprache sehr gut sprechen kennt man meist aus der Arbeit, und dabei gibt es die oben erwähnte Barriere. Doch wie immer gibt es keine Regel ohne Ausnahme. Eignet man sich die die chinesische Neugierde an, spricht man mit den Leuten ausserhalb der Arbeit, dann ergeben sich da viele Möglichkeiten Freunde zu finden. Und reissen alle Stricke, gibt es immer noch einen interessanten Mix aus Ausländern. Hie und da ist auch ein Gespräch in der Muttersprache ganz nett, dafür gibt es Organisationen, wie die Schweizer Vereinigung oder den deutschsprachigen Club in Beijing.
Ich bin gespannt, wie sich diese Erkenntnisse in den kommenden Monaten und Jahren verändern resp. vertiefen werden…