Von Stuttgart nach Peking in 100 Tagen

Die Reise ist vorbei, die Distanz von Stuttgart in Süddeutschland nach Beijing im Osten China’s bewältigt. Was bleibt sind Erinnerungen an viele schöne Erlebnisse und Begegnungen, sowohl mit Einheimischen als auch mit anderen Reisenden. Jede Begegnung hat mich in der ein oder anderen Form weitergebracht, meinen Horizont erweitert. So viel vorne weg: für eine Reise dieser Art sind 100 Tage definitiv zu kurz. Ich war mir dessen von Anfang an bewusst, wollte jedoch deswegen nicht davon absehen.

Die Reiseroute

Die Reise führte von Stuttgart zunächst zu meinen Eltern in die Schweiz, von wo aus ich mit dem Zug nach Venedig weitergefahren bin. Bereits in Venedig begann ein Spiel, welches sich bis Istanbul fortsetzen sollte. Nämlich ein Spiel, welches ich als Bemusterung oder auf neudeutsch Sampling der Länder bezeichnete. Mir ging es in Venedig und den Staaten auf dem Balkan darum, einen groben Eindruck zu erhalten, was es in den Ländern zu sehen gibt und was die Länder auszeichnet. Besonders interessant war es, die Unterschiede zwischen den Staaten des früheren Jugoslawiens auszumachen. Mit der Einreise nach Albanien kam die erste grosse Umstellung auf mich zu. Sprachlich wurde es plötzlich schwieriger und die zentralen Busbahnhöfe, wo man sich informieren konnte, wann der nächste Bus fährt, waren auch plötzlich nicht mehr vorhanden. Ich glaubte auf einen Schlag nicht mehr in Europa zu sein. Das Gefühl verging jedoch mit der Üeberquerung der albanisch-griechischen Grenze wieder. In Griechenland war ich wieder in Europa.
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Mit dem Betreten des asiatischen Kontinents in Istanbul war jedoch aus meiner Sicht definitiv Schluss mit Europa. Nicht nur geografisch, sondern auch kulturell befindet man sich in Anatolien, dem asiatischen Teil der Türkei, in einer anderen Welt. Die oft gehörte Aussage, dass der Westen der Türkei europäisch ist, ist aus meiner Sicht ein Märchen, denn zu anders ist die tief verankerte türkische Kultur. Die Unterschiede zwischen Westen und Osten der Türkei sind jedoch sehr real und spiegeln sich in vielen Fällen auch in der Bevölkerung wider.  Der Iran erfüllte meine Erwartungen mit der herzlichen Gastfreundschaft und überraschte mit einem sehr respektvollen Umgang mit anderen Menschen. Ich meinte so etwas wie eine persische Attitüde zu erkennen.
Mit der Einreise nach Turkmenistan folgten weitere ûnderungen in meinem Umfeld: die zentral-asiatischen Staaten sind regiert von Despoten, welche wenig Interesse am Wohlergehen ihrer Bürger haben. Andererseits wurde auch schon der Einfluss China’s sichtbar, nämlich in Form des grünen Tees, welcher plötzlich überall neben dem Schwarztee angeboten wurde. Zentralasien lebte auf meiner Reise überraschend lange, nämlich bis nach Turpan weiter. Die ganze Provinz Xinjiang in China ist historisch und kulturell ein Teil Zentralasiens. Dies zeigt sich insbesondere beim Essen und bei der Sprache. In Jiayuguan hatte ich nicht nur die erste Begegnung mit der chinesischen Mauer, sondern war auch definitiv in China angekommen. Die paar zentral-asiatischen Tupfer in Xian vermochten nicht mehr das Gefühl aufkommen zu lassen, dass vielleicht doch noch eine Spur Zentralasien übrig geblieben ist.

Wo war es am Schönsten?

Eine Frage, welche einem häufig gestellt wird, wenn man eine längere Reise hinter sich hat. Und auch eine Frage, welche verboten sein sollte. Warum? Jedes Land, jede Gegend hat einerseits von der Natur her viel zu bieten, seien es die Berge und Seen auf dem Balkan oder die Felsen in Kappadokien, seien es die Wüsten im Iran, in Zentralasien oder in China. Andererseits ist das spannende einer solchen Reise nicht nur die Natur und die Sehenswürdigkeiten, sondern der Austausch mit den Leuten.
Da ich von vielen Ländern nur einen kleinen Eindruck erhalten habe, während ich andere über Wochen besucht habe, wäre es unfair ein abschliessendes Urteil zu fällen. Jedes Land, durch welches ich gereist bin, hat seine Besonderheiten und seine Sehenswürdigkeiten. Und die Menschen waren in allen Ländern gastfreundlich und offen gegenüber Fremden (vielleicht mit der Ausnahme Istanbuls, wo es den Einheimischen primär ums Geld ging).

Was würde ich anders machen?

Als Vorbereitung auf die Reise hatte ich ein Semester Russisch an der Volkshochschule Stuttgart besucht, ein zweites kam leider auf Grund mangelnder Teilnehmer nicht zustande. Mir war vor der Reise nicht bewusst, dass Türkisch eine viel bessere Wahl gewesen wäre. Russisch war keine falsche Wahl, nur wird in zum Beispiel in der Türkei und in der Provinz Xinjiang in China kein Russisch gesprochen, während sämtliche zentral-asiatischen Länder eine türkische Sprache als erste Landessprache haben, inbegriffen die beiden genannten Länder resp. Provinzen.
Was ich bei dieser Reise aus verschiedenen Gründen auch vermisste, war eine gute Vorbereitung auf die Ländern. In der Vergangenheit habe ich festgestellt, wie wichtig es ist, eine erste Einführung zur Kultur und zur Geschichte eines Landes gelesen zu haben, bevor man in das betreffende Land einreist. Da meine Reise sehr zügig voran ging, hatte ich unterwegs keine Zeit, die verpasste Vorbereitung aufzuholen. Aus diesem Mangeln an Information resultierten keine Probleme, jedoch fällt es mit der Vorbereitung leichter, noch tiefer in ein Land einzutauchen. Die Einführungskapitel der Reiseführer leisten hierzu schon einen guten Start, etwas Vertiefung kann trotzdem nicht schaden.

Eine grosse Frage

Fährt man heute durch die Länder des ehemaligen Jugoslawiens stellt sich einem die Frage, wie diese doch sehr unterschiedlichen Kulturen unter einen Hut gebracht werden konnten. Andererseits stellt sich auch unweigerlich die Frage, warum es so häufig nicht funktioniert, unterschiedliche Menschen unter einen Hut zu bringen, ohne sie gleich machen zu wollen.
Mit der Frage des friedlichen Zusammenlebens wurde ich zunächst in Sarajevo bei der Tour durch das Tunnelmuseum sehr intensiv konfrontiert. Dies sollte jedoch nicht das letzte Mal sein, denn das Thema war sehr zentraler Bestandteil im Gespräch mit der Familie Dag in Van und im Iran stand bei jeder Diskussion der Umgang mit Menschen im Zentrum der Diskussion. Immer wieder kamen wir in den unzähligen Diskussion darauf, dass die meisten Schwierigkeiten zwischen Menschen dann entstehen, wenn nicht ausreichend miteinander kommuniziert wird. Aus meiner Erfahrung fängt dies im Kleinen, z.B. in einer Beziehung, an, geht weiter über den Arbeitsplatz und ist schlussendlich sogar der Grund für Kriege.
Für mich war es beeindruckend zu sehen, wie viel zwischen der Türkei und China mündlich kommuniziert wird. Offene Fragen werden sofort geklärt, Informationen sofort beschafft, wenn sie benötigt werden und so weiter und so fort. Das Mobiltelefon ist für viele Menschen in diesen Gegenden ein zentrales Instrument und sei es nur um kurz mitzuteilen, wohin man gerade unterwegs ist oder wann man voraussichtlich nach Hause kommt. Es ist unglaublich wie viele ganz kurze Gespräche geführt werden, nur um eine kleine, aber je nach dem wichtige Information auszutauschen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass die intensive Kommunikation zwischen den Menschen und insbesondere zwischen Menschen unterschiedlicher Rassen, Religionen etc. die Welt ein bisschen besser machen können. Denn egal wo einer herkommt, man kann von jeder Person etwas lernen, ganz egal was der Hintergrund der Person ist. Und: die Kommunikation fördert das Verständnis zwischen den Kulturen. Insofern freue ich mich auf die kommende Zeit in China und hoffe auch hier, sowohl mit Einheimischen, wie auch mit anderen Ausländern, interessante Gespräche führen zu können.

Und nun?

Meine Aufmerksamkeit gehört in der kommenden Zeit voll und ganz den Chinesen. Die alte und reiche Kultur, sowie das was heute daraus gemacht wird ist sehr vielschichtig und will doch noch etwas genauer entdeckt werden. Dies soll allerdings nicht wie bisher mit Reisen durchs Land von statten gehen, wobei die ein oder andere Reise sicher noch dazu kommt, sondern bei der Arbeit in Beijing. Dazu benötige ich erst einmal eine Stelle, um welche ich mich in den nächsten Tagen und Wochen kümmern werde. Eine Pause ist schon vorgesehen, da das chinesische Frühlingsfest, das Neujahrsfest, unmittelbar bevorsteht. In der Woche vom 23. Januar 2012 feiert ganz China auf sogenannten Tempelmärkten und in den Familien und am 6. Februar enden die Festivitäten mit dem Laternenfest.